2022: Here Comes Everybody

18.–19.11.2022 / resonanzraum Hamburg

Here Comes Everybody, alias Humphrey Chimpden Earwicker, Zentralfigur in James Joyce’ legendärem Finnegans Wake, ist einer, und doch wir alle zugleich. John Cage, auf der Suche nach der Befreiung der Musik von allen Fesseln, war fasziniert von Finnegans Wake und der allumfassenden Gestalt von HCE. Das Non-Piano/Toy Piano Weekend 2022 zieht eine direkte Linie von Here Comes Everybody über John Cage zu unserer heutigen Welt. Nach 2 Jahren Vorsicht, Abschottung und Isolation fordert das Miteinander seinen Raum. Und will sein Fest, so prall, bunt, divers und verrückt wie unsere vernetzte Welt eigentlich doch ist.

Alles beginnt im heimischen Wohnzimmer mit John Cages Living Room Music. Chipstüten, Gläser und Küchenutensilien entpuppen sich in den Händen der vier Musiker zu Tisch als überraschend fähige Musikinstrumente. In Pamela Z’s No Baggage und Notice of Baggage Inspection versuchen wir einen Flieger zu besteigen, scheitern aber an einem unüberwindbaren Berg von Vorschriften und unerwarteten Hindernissen. Wie viele Friseurtermine fielen dem Lockdown zum Opfer? Ein Friseurbesuch hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Umso begeisterter zelebriert Hamburgs Vidal Sassoon-Starfriseur Raphael in Steffen Wolfs The Cut einen choreographierten Haarschnitt zu Toy Piano-Musik. In Sascha Lino Lemkes ‘Les Petits Riens’ serviert uns eine singende Barkeeperin anschließend eine Reihe von klanglichen und gestischen Nichtigkeiten. All diese alltäglichen Absurditäten lassen einen Besuch beim Therapeuten ratsam erscheinen. Ein Glück, dass Pamela Z’s Dr Melfi ein offenes Ohr für unsere Probleme hat. Stärke finden wir auch im Miteinander: ein herzerwärmendes Stück aus Indien, ein herzzerreißendes ukrainisches Volkslied, ein Popsong des jungen Hamburger Multitalents Taleja Grossmann und das ausgelassene Death, Hocket and Roll des jungen, kalifornischen Komponisten Thomas Kotcheff umhüllen und versöhnen uns als warmes, kulturelles, globales Dorf.

Als Ehrengast mit dabei ist diesmal Multi-Virtuosin Dorrit Bauerecker. Die Pianistin und Akkordeonistin präsentiert Stücke ihres brandneuen Albums ONE WOMAN EXPERIMENTAL CIRCUS, u.a. die lang erwartete Fortsetzung von Moritz Eggerts legendärem One Man Band-Zyklus. Ganz im Sinne von Moritz Eggerts vehementen Einsatz für Frauenrechte, bzw. Rechte von Studentinnen, natürlich in der Rolle einer kraftvoll multitaskenden One Woman Band. Einen starken Kontrast dazu bildet ihre Darbietung eines Stücks von Niklas Seidl über Obdachlosigkeit in Hamburg.

Die Querverbindungen reichen jedoch nicht nur von Joyce zu Cage, oder vom Friseur zum Toy Piano. Wie ein Nukleus inspirierte John Cage verschiedenste Komponist:innen. Mit Bezug auf 4‘33‘‘ schrieb György Ligeti Trois Bagatelles, ein bis heute weitgehend unbekanntes Stille-Stück. Jonathan Harveys Homage to Cage, à Chopin (und Ligeti ist auch dabei) zitiert und ehrt gleich drei große musikalische Heroen. Mit einer Hommage an Chopin für 2 Toy Pianos schließt Frederic Verrieres diesen Kreis. Und nicht zuletzt beseelt Cages Begeisterung für Finnegans Wake in Katharine Balchs These Intervals Matter oder Jo Kondos Caccia auch ein ganz persönliches Spiel mit den jeweiligen musikalischen Materialien. Mit zusätzlichen Spielzeugklavier-Premieren von Anthony De Ritis und Jeeyun Jang, Kompositionsstudentin an der HfMT Hamburg.

2022 will das Non-Piano/Toy Piano Weekend die wiedergefundene Gemeinschaft  feiern. 

Im Rampenlicht stehen Wir Alle: unsere Vielfalt, unser Miteinander, unsere Alltagsrituale, das Banale, das Erhabene, und all die aberwitzigen Ereignisse der letzten beiden Jahre. Me Too, ein Leben ohne Friseure aber mit Klopapierrationierung, eine Welt ohne Reiseverkehr. Die globale Pandemie hat uns an vielen Punkten auseinander gesprengt, an manchen aber auch mehr denn je zusammengeschweißt. Es ist Zeit über all dies zu Staunen und zu Grübeln, zu Lachen und zu Weinen, sich den Kopf zu kratzen, und auf die Schenkel zu klopfen. Was hätte Humphrey Chimpden Earwicker alias Finnegan alias Here Comes Everybody in seinen wirren Träumen wohl zu unserer verrückten Welt gesagt?

Programm

Abend 1

Sascha Lino Lemke (1976)Les petits riens, # Tempus ex cortex’ (UA) 5 Bar-Stücke für Solo-Performer and Elektronik
John Cage (1912-1992) ‘Living Room Music’ (1940) für 4 Performer 
Sascha Lino Lemke ‘Les petits riens, # Wunschfee’ (UA) 5 Bar-Stücke für Solo-Performer and Elektronik
Pamela Z (1956) ‘No Baggage from Baggage Allowance’ (2010) für Performer
Pamela Z ‘Notice of Baggage Inspection’ (2007) für Klavier und Tape
Pamela Z ‘Dr. Melfi’ (2007) für Stimme und Non-Piano Ensemble 
Steffen Wolf (1971) THE CUT  (UA) für Friseur, Toy Piano, Sänger und Modell 
Sascha Lino Lemke ‘Les petits riens, # Justitia’ (UA) 5 Bar-Stücke für Solo-Performer and Elektronik
Thomas Kotchheff (1988) ‘Death, Hocket and Roll’ (2014) für 2 Toy Pianos 
Sascha Lino Lemke ‘Les petits riens, # Dschinn-Dschinn!’ (UA) 5 Bar-Stücke für Solo-Performer and Elektronik

PAUSE

Sascha Lino Lemke ‘Les petits riens, # [Bierkastenstück] (UA) 5 Bar-Stücke für Solo-Performer and Elektronik
Katharine Balch (1991) ‘These Intervals Matter’ (2020) für Sopran, Kristallglas und Kies 

ONE WOMAN EXPERIMENTAL CIRCUS

mit Dorrit Bauerecker
Stephen Montague (1943)  ‘Mirabella’ (1995) für Spielzeugklavier 
Niklas Seidl (1983) ‘Gichtgriffel und Achterbeene (für Schifferklavier und Fußpedal)’ (2016) 
Moritz Eggert (1965) ‘One Woman Band’ (2021) für Klavier, Samples, hochhackige Schuhe, Kaffeemühle Maschine und Herdplatte mit Wasserkessel 

 

Abend 2

Sascha Lino Lemke ‘kalimBao’ für Kalimba und Elektronik 
Casey Cangelosi (1982) ‘Set Up’ für Schlagzeug 
Anthony De Ritis (1968)  ‘Vox Minima Nebulae’ (the imagined sounds of tiny nebulas) UA  für Toy Piano und 4-Lautsprecher-Audio 
Reena Esmail (1983)  ‘Chuti Hui Jahah, Satz 1 (2015) für Mezzosopran und Klavier 
John Cage ‘Water Walk’ (1960) für Solo-Fernseher-Performance mit einer großen Anzahl an Requisiten und speziellem Single-Track Tape 
Taleja Grossmann (2000) ‘So Are You’ (2000) für Gesang und Non-Piano Ensemble 

Pause

Reena Esmail  ‘Chuti Hui Jahah, Satz 2 (2015) für Mezzosopran und Klavier 
György Ligeti (1923-2006) ‘Three Bagatelles, for David Tudor’ (1961) für Klavier
Frederic Verrieres (1967)  ‘Four Note Waltz’  (2006-13) für 2 Toy Pianos
György Ligeti ‘Selbstportrait mit Reich und Riley (und Chopin ist auch dabei)’ (1976) für 2 Klaviere 
Ukrainisches Volkslied Ptytschka-Nevelytschka (‘Kleiner Vogel’) für Stimme 
Jo Kondo (1947) ‘Caccia’ (2016) für Toy Piano 
Jonathan Harvey (1923-2012) ‘Homage to Cage, á Chopin (und Ligeti ist auch dabei)’ (1998) für präpariertes Klavier und CD
Reena Esmail ‘Chuti Hui Jahah Satz 3’ (2015) für Mezzosopran und Klavier 
Jeeyun Jang (1992) ‘Too Smart to be a Dog’ (UA) für Non-Piano Ensemble 

Mitwirkende

Dorrit Bauerecker Klavier, Akkordeon, Toy Piano
Bernhard Fograscher, Jennifer Hymer, Daria Karmina-Iossifova, Steven Tanoto  Klavier, Toy Piano, Spielzeuginstrumente
Taleja Großmann Schlagzeug/Gesang
Steffen Wolf Tenor
Marcia Lemke-Kern Sopran
Anna Vishnevska Mezzosopran
Friseur-Performance Raphael Wachs
Jacob Sello, Sascha Lino Lemke Elektronik
Maike Schuster Regie

 

Mit Werken von 

Katherine Balch, John Cage, Anthony de Ritis, Casey Cangelosi, Reena Esmail, Moritz Eggert,  Taleja Großmann, Jeeyun Jang, Jonathan Harvey, Jo Kondo, Thomas Kotchheff, Sascha Lino Lemke, György Ligeti, Stephen Montague, Niklas Seidl, Frederic Verrieres, Steffen Wolf & Pamela Z.